Montag, 12. Oktober 2009

Geschenk und Entscheidung








Hallo Ihr Lieben,

ich habe ja vor kurzem geschrieben, daß ich mittlerweile 2 Teilzeitjobs angenommen habe und die letzten Tage war ich sehr eingespannt in der Betreuung der schwer an multipler Sklerose erkrankten Frau. Eine sehr schwierige Aufgabe, denn die Frau ist quasi schon komplett gelähmt und sehr schwach. Für beide Teile eine Situation, die sehr viel abverlangt. Ich bringe einiges an Erfahrung aus meiner jahrelangen Nebentätigkeit in einem Krankenhaus mit und habe auch schon eine einzelne Person länger gepflegt. Doch diese Aufgabe hier war sehr speziell. Wenn jemand, der noch dazu jung ist, bei vollem Verstand mit erleben muß wie es ständig mit ihm bergab geht, er immer schwächer wird und immer weniger selbst machen kann - bei allem Einfühlungsvermögen kann eine gesunde Person sich das nicht wirklich vorstellen. Jemand der tagein, tagaus ans Haus gefesselt ist, bei der Pflege unglaublich viel Nähe zulassen muß und keinerlei Privatsphäre mehr hat, fixiert sich sehr auf sich selbst und entwickelt mit der Zeit 1000 verschiedene sinnvolle und auch weniger sinnvolle Rituale an die er sich klammert. Diese Rituale sind für Außenstehende nicht immer ganz nachvollziehbar.
Und dann komme ich, zwar mit Erfahrung und Einfühlungsvermögen aber wohl auch zu großer Zurückhaltung. Und es wurde immer deutlicher, daß es nicht funktioniert. Die zu pflegende Person wurde zusehends aggressiver und ich habe mir den Kopf zerbrochen wie ich alles perfekt machen kann und perfekt war nicht gut genug.
Zusammen mit mir hat noch jemand dort angefangen und bereits nach 2 Tagen das Handtuch geworfen. Ich sagte mir, ich halte das durch und es kann nur besser werden. Doch wer kann schon nachempfinden, wie es in einer jungen Frau aussieht, die keinen Handgriff mehr alleine machen kann und die sehr bewußt erlebt, wie ihre Kräfte immer mehr nachlassen.
Ich bin die letzten Tage sehr traurig und still nach Hause gekommen, war todmüde und konnte aber kaum schlafen. Da habe ich eingesehen, daß das für beide Seiten nicht gut ist und gestern nach der Arbeit gekündigt. Es tut mir sehr leid denn ich war hochmotiviert und der Job ließ sich zeitlich prima mit meinem anderen Job vereinen. Auch die anderen Pflegerinnen sind in der gleichen Situation; für alle ist es physisch und psychisch sehr schwer und es herrscht eine hohe Fluktuation; momentan haben 3 gekündigt und ich wäre Ersatz gewesen.
Ich kann mich nicht souverän über Aggressionen und Ablehnung hinwegsetzen und wurde dadurch immer unsicherer, was natürlich nicht unbemerkt blieb. Nicht gut, denn es ließ sich kein Vertrauen aufbauen, was in einer solch engen Beziehung zwischen Pfleger und Pflegeperson unabdingbar ist.
Ich wünsche der jungen Frau von Herzen viel innere Kraft und Mut und Zuversicht für ihr weiteres Leben.

Um mich abzulenken hat mein lieber Mann mich gestern nachmittag auf einen schönen großen Trödelmarkt entführt; kaum hatten wir die ersten Stände gesehen, kam ein dringender Anruf und wir mußten mal wieder weg. Auf dem Rückweg kamen wir nochmal an dem Markt vorbei und es wurde bereits abgebaut. Gleich am zweiten Stand hatte ich zu Anfang mit der oben zu sehenden schönen alten Hakenleiste geliebäugelt und als wir das 2. Mal dort auftauchten, hatten die Verkäufer aber schon fast alles zusammengepackt. Ich schlenderte weiter zu einem anderen Stand, der noch vollständig aufgebaut war um mich dort umzusehen, mein Mann war wie immer irgendwo. Schließlich gingen wir zurück zum Auto und mein Herzblatt hatte auf einmal eine Tüte in der Hand. Und daraus zauberte er mit einem lieben Lächeln die begehrte Hakenleiste. Ist das nicht lieb? So wie ich ihn kenne kann er nicht verstehen was mir an diesem Teil gefallen hat, doch wollte er mich etwas trösten und hat es mir geschenkt. Das sind die Momente in denen ich ganz genau weiß warum ich ihn geheiratet habe.
Die Leiste werde ich weiß anpinseln und dann etwas Wischtechnik ausprobieren und die fehlenden Haken werde ich ersetzen und ich weiß auch schon, was ich daran aufhängen werde. Wenn die Leiste fertig ist, werde ich sie nochmal zeigen. Die beiden kleinen Porzellanschildchen (Jugendstil), die über der Leiste zu sehen sind, habe ich vor vielen Jahren mal auf einem fränkischen Antikmarkt erworben.

Liebe Grüße,
Tanja

15 Kommentare:

  1. Liebe Tanja,
    ich glaube, du hast hier die richtige Entscheidung getroffen. Was nützt die größte Motivation, wenn die Chemie nicht stimmt! Sicher ist es für die junge Frau unermesslich schwer, dieser Krankheit ausgesetzt zu sein. In diesem Fall aber musst du auch an dich denken. Vielleicht kannst du sie ja ab und zu noch besuchen, ohne in die Pflege eingebunden zu sein. Das beruhigt dich ein wenig und die Dame hätte ein wenig Abwechslung in ihrem täglichen Einerlei.
    Dein Mann hat von mir drei Plupunkte bekommen. Wer gegen seine Überzeugung (was will sie bloß damit) seiner Frau eine solch große Freude macht, der hat Anerkennung verdient.
    Zu deiner Frage zu den Rosenbild; Ich hatte noch keine Zeit es zu reparieren und auch noch keinen passenden Rahmen gefunden.
    Aber - kommt Zeit - kommt Rat.
    Alles Liebe für dich von Gabriele, der Rosenperle.

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  2. Liebe Tanja
    Ich kenne deine Gefühle nur zu gut und weiß wie schwer diese Situation ist. Aber es bringt nichts du hast richtig gehandelt. LG Claudia

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  3. Liebe Tanja,
    ich denke ebenso wie meine beiden Vorgängerinnen - es ist in solchen Situationen das Beste, in sich reinzuhorchen und dann nach dem Bauchgefühl für sich selbst (und damit für den anderen) zu gehen.
    Dein Mann ist echt ein Lieber -
    die Hakenleiste ist wirklich schön - bin gespannt, was du draus machst -
    lg Ruth

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  4. Liebe Tanja,
    ich drück dich!
    Liebe Grüße
    Tanja

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  5. Hallo liebe Tanja,
    hatte ja vor vielen Jahren genau den selben Job gemacht und bin auch über meine Grenzen gegangen - man setzt dabei nur seine eigene Gesundheit aufs Spiel.......das was ich lange Zeit ganz alleine gemacht hatte, haben sich nach mir viele Personen und Organisationen geteilt und sind auch gescheitert. Sei froh, dass du nicht zu lange gewartet hast!!!
    Die Hakenleiste ist traumhaft - wie süß von deinem Mann!
    Eine herrliche Woche und GLG (auch an die Buben - die werden dieses Wetter wohl nicht so lieben?),

    herzlichst Jade

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  6. Hallo Tanja,
    das verstehe ich gut....ich weiß nur wie anstrengend meine Oma- eine herzensgute frau-
    in ihrer letzten Zeit war.Man merkt das du dich sehr schwer mit der Entscheidung getan hast, manchmal muß man auf Bauchgefühl hören!
    Und dein Mann hat dich toll evrwöhnt, sehr schön das bratt!
    allerliebste andrellagrüße

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  7. ....oweija, man sollte doch vorm bestätigen nochmal durchlesen...sorry für die vielen Fahler! andrella

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  8. Liebe Tanja,
    ich kann Dich sehr gut verstehen, habe selbst letztes Jahr eine sehr enge Freundin an diese heimtückische Krankheit verloren. Sie saß zum Schluß im Rollstuhl und konnte nichts mehr, auch nicht mehr richtig sprechen. Sie konnte dieses Schicksal nie annehmen, ließ alles nur noch geschehen. Kurz nach der Diagnose vor ca. 8 Jahren war das noch anders, da ging noch viel. Die letzten Monate vor ihrem Tod hatte sie nur noch mich, zwei Pfleger und ihren Bruder. Alle sog. alten Freunde hatten sich schon längst nicht mehr blicken lassen. Ich wusste am Schluß nicht mehr, was ich für sie machen kann (außer da sein). Ich erreichte sie nicht mehr, sie wollte nicht mehr leben! Ihr Lieblingspfleger (ja, das war er wirklich) teilte mir auch ihren Tod mit...er hatte sie gefunden und war fix und fertig! Wir trösteten uns gegenseitig. Er bekam auch erst einmal frei, denn einfach weitermachen ging in diesem Fall nicht.
    Ich habe für Deine Entscheidung vollstes Verständnis und gleichzeitig große Anerkennung für Menschen in Pflegeberufen!
    Alles Liebe
    Conny

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  9. Hallo Tanja,
    du hast das auf jeden Fall richtig entschieden, diesen Nebenjob aufzugeben. Mach dir bloß keine Vorwürfe!!!!
    Ich bin selber Krankenschwester in einer neurologischen Klinik und kenne mich sehr gut aus mit dieser Erkrankung. Menschen mit MS verändern sich ganz oft in ihrer Art und in ihrem Wesen und können wirklich sehr garstig werden. Ich kann so etwas auch nur durchstehen weil es fremde Menschen sind und ich das maximal 7 Stunden machen muß. Und im Klinikbetrieb ist das nochmal was anderes wie die Pflege bei Jemandem zuhause.
    Früher oder später währest du vielleicht selber noch krank geworden, wenn du nicht die Notbremse gezogen hättest.
    Ganz liebe Grüße,
    Sylvia

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  10. Liebe Tanja,
    Natürlich versteht man jemanden, der todkrank ist, sehr gut- man kann sich ja in etwa vorstellen, wie es einem selber in solch einer Situation ergehen würde.
    Aber bei allem guten Willen und Mitgefühl mit der zu pflegenden Person darf man die eigene körperliche und psychische Gesundheit nicht aus den Augen verlieren. Es dienst niemandem, wenn man sich selber "kaputtarbeitet"! In meinem Job in der Praxis, wo wir auch sehr viele krebskranke Frauen betreuen, bin ich oft dankbar dafür, dass ich diese Patientinnen nur sporadisch zu Gesicht bekomme. Ich bin nämlich auch jemand, der sich "geistige Arbeit" mit nach Hause nimmt und manchmal einfach nicht abschalten kann. Und wenn man merkt, dass einem die Arbeit seelisch über den Kopf wächst, muss man UNBEDINGT eine Änderung herbeiführen; Du hast das Richtige getan!
    Dein Mann ist ja ein Goldstück, dass er Dir so klammheimlich die tolle Hakenleiste gekramt hat!! Sie ist wunderschön, und ich kann sie mir "renoviert" schon sehr gut vorstellen!!

    Ich wünsche Dir einen erholsamen Herbstabend,
    herzlichste Grüsse

    Andrea

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  11. Hallo Tanja,

    I can imagine it must have been very difficult for you to make this decision. I admire people who do the same kind of work like you. I wouldn't be able to help people this way. It is very sweet of your husband to go to a fleamarket with you and buy you the little 'Hakenleiste'(I don't know the English word for it).

    Have a lovely day! groetjes Madelief

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  12. Liebe Tanja, aus deinen Zeilen spricht enorm viel Sensibilität, Mitgefühl und auch die Traurigkeit darüber, dass es dir nicht möglich war, der kranken Frau das zu geben (oder mehr von dem), was sie vielleicht gebräucht hätte. Nicht viele bringen diese Anteilnahme und Bereitschaft auf, kaum jemand hat dann auf Dauer die Kraft, so viel zu geben. Ich kann beide Seiten gut verstehen, MS war für mich schon früh ein Thema, weil mein kleiner Opa ja daran erkrankt war (und auch wenn es sehr lange gut ging, ist er zuletzt elend zugrunde gegangen); ich war zwar noch sehr klein, als er starb, aber ich kenne natürlich die Geschichten. Später habe ich eine Frau aus dem entfernten Bekanntenkreis extrem schnell daran "verwelken" gesehen, zwei andere Menschen, die ich sehr gut kenne, sind seit Jahren durch die richtigen Medikamente (und vermutlich eine leichte Form der Krankheit?) in der Lage, ein fast normales Leben zu führen. Das Gefühl, vom Leben ungerecht behandelt zu werden, zu kurz zu kommen, völlig abhängig zu sein, kann vermutlich selbst den ursprünglich optimistischsten und freundlichsten Menschen unleidlich machen (und wie viele Menschen sind schon von Grund auf sooo gut drauf?) - damit als Betreuer(in) klarzukommen ist eine enorme Herausforderung. Leider (aber auch nachvollziehbarer Weise) haben so schwer kranke Menschen oft selbst nicht das geringste Mitgefühl mehr mit anderen - nach dem Motto: "Was, du fühlst dich heute ausgelaugt? Was, du hast Probleme hiermit oder damit? Erzähl du mir nichts von Ausgelaugtheit oder von Problemen!" (Das alles muss gar nicht ausgesprochen werden, das schwingt einfach so mit... und vergiftet die Atmosphäre.) Vielleicht könnte die Frau noch bei einer Geschichte a la "Schmetterling und Taucherglocke" Mitleid empfinden; da gibt's einen, dem's noch übler geht... - aber sonst...? Auch ich würde der jungen Frau wünschen, dass sie letztendlich ihren Frieden mit sich und der Welt machen kann - hoffen wir es!
    Das Geschenk deines Mannes ist ein wunderschöner Schritt in deine Richtung! (Mein Mann hat sicherlich auch viele gute Seiten, aber ich wage zu bezweifeln, dass er auf solch eine Idee käme...) Die Leiste ist jedenfalls sehr hübsch (bin schon auf die weiße Version gespannt) und auch die beiden älteren Schildchen gefallen mir ausgesprochen gut!
    Für deinen lieben Kommentar möcht ich mich auch noch bedanken! U.a. hab ich mich königlich amüsiert über deine "Flokati-Gang"! (Und gleich an den Kater eines früheren Freundes gedacht, der immer den Kühlschrank plünderte - erst ein Vorhängeschloss schuf Abhilfe!)
    Ich schick dir ganz liebe Grüße, alles Liebe, Traude

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  13. Manchmal muß man einfach eine Entscheidung treffen, auch wenn man es gerne anders hätte!
    ABer...man muß auch an sich denken. So schwer es manchmal fällt.
    Die Hakenleiste finde ich ganz toll.
    ♥-lichst
    biggi

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  14. Hallo Tanja
    Auch ich bin im Pflegeberuf tätig aber in einer Klinik welches sicher leichter zu bewältigen ist. es gibt immer wieder schwierige Patienten die ihre eigene Hilflosigkeit auf die pflegende Person übertragen da ist man selber machtlos,du hast bestimmt die richtige Entscheidung getroffen,den da hätte sich sicher nichts mehr verändert...LG.Petra

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  15. Hallo Tanja,

    ich kann dich sehr gut verstehen. Ich bin selber Krankenschwester und weiss wie sich viele Patienten in solchen Situationen verhalten. Das ist für die Pflegekraft sehr frustrierend! Ich habe sogar schon mal Aggressionen gegen eine Patientin entwickelt. Ich habe sie natürlich nicht gezeigt, aber ich bin sehr verletzt gewesen durch das Verhalten was mir engegengebracht wurde.Da fält es mir auch schwer professionelle Distanz zu halten. In solchen Momenten ( Frust, Traurigkeit, Aggression..) muss man manchmal besser "aufgeben". Diese junge Frau meinte es ja nicht böse oder persönlich! Es richtete sich einfach auch ein großer Teil der Aggression auf den Menschen der grad in der Nähe ist! Ich glaube, dass ich auch unfair und wütend werden würde wenn ich so eine furchbare Krankheit hätte.... Ich wünsche dir viel Kraft, damit du damit Frieden schließen kannst!

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